Presse
Siegener Zeitung - 29. April 2021 / gekürzte Fassung
Erstes 3D Ohrkino entsteht in Siegen
pav Siegen.
Musik an, Ohren auf. Ein neues Klangerlebnis wird geschaffen, das 3D-Ohrkino, inklusives Kino für die Ohren. Das Dunkelcafé Siegen hat es sich seit Ende letzten Jahres zur Aufgabe gemacht , das erste 3D-Ohrklino weltweit zu etablieren. Initiator dieser Idee ist Jan Meyer-Krügel, der das Dunkelcafé leitet und seit seinem 20. Lebensjahr blind ist. Mithilfe einer speziellen Kunstkopftechnik, auch kopfbezogenen Stereophonie genannt, kann ein räumlich fassbares Musikerlebnis aufgenommen werden. Mit dieser Aufnahme- und Wiedergabetechnik soll nun ein Klang-Eindruck ermöglicht werden, bei dem die Hörenden das Gefühl haben werden, sie seien direkt vor Ort, am Ort des musikalischen Geschehens. Und mittendrin: Sie fühlen sich, als wären sie von der Musik umgeben.
Von der Technik sollen insbesondere auch Menschen mit Sehbehinderung profitieren. Ihnen wird der Musikgenuss ermöglicht, indem sie die Klänge im Raum genauestens wahrnehmen und visuell nachvollziehen können: Woher kommt der Klang der Geige, wo sitzt das Horn und wie nah ist die Flöte?
Gefördert wird das Projekt vom Kreis-Siegen-Wittgenstein, der Stadt Siegen sowie über den Fonds Soziokultur des Sonderprogramms “Neustart Kultur” bis vorerst Ende des Jahres, wie Bernhard Nolz, der erste Vorsitzenden des Vereins, der das Dunkelcafé trägt, im Gespräch mit der SZ erzählt. Mit dem Projekt soll dann auch das Angebot des Dunkelcafés erweitert werden. Besucherinnen und Besucher des Dunkelcafés können künftig dieses 3D-Ohrkino erleben. Die Besucher dieses Ohrkinos müssen die Musik bzw. die Texte per Kopfhörer anhören. Dadurch erhalten sie den 3D Effekt, der bei der Aufnahme eingefangen wurde.
Jan Meyer-Krügel (v.l.), Micheal Nassauer, Bernhard Nolz und Frank Hellwig arbeiten gemeinsam am Projekt 3D Ohrkino, das im Siegener Dunkelcafé zu erleben sein wird. Foto Pauline Vollpert
Und wie funktioniert die Aufnahme?
Die Philharmonie Südwestfalen spielte im Gläser-Saal der Siegerlandhalle am Dienstag u. a. die Hebriden-Overtüre von Mendelssohn Bartholdy. die 5. Sinfonie von Schubert und das Flötenkonzert von Salverio Mercadante. Jan Meyer-Krügel und Ashraff Salem, der wie Jan blind ist und im Dunkelcafé arbeitet, saßen zusammen mit einem Techniker mitten unter den Orchestermitgliedern, ein Mikro vor sich. Von dieser Position hörten sie die Geigen von links. So, mit dieser Raum-Klang-Information verbunden, wurden die Stücke dann auch aufgenommen.
“Normalerweise” wird jede Stimme einzeln aufgenommen, ohne irgendeinen Raumbezug, erläutert Philharmonie-Intendant Michael Nassauer im Gespräch mit der SZ. Der 3D Effekt dieser speziellen Aufnahmetechnik ist für die Hörer nur mit Kopfhörern erlebbar. Neben klassischer Musik wird das Dunkelcafé aber auch andere Genres aufnehmen. Das Projekt ist auch offen für Soundeinlagen aus den Bereichen Literatur, Theater, Lyrik.
Westfalenpost Siegen - 04. Mai 2021 / gekürzte Fassung
Philharmonie fürs Ohrenkino
Wolfgang Leitpold
Siegen. Intendant Michael Nassauer sah schon fröhlicher aus. „Das Orchester befindet sich nach wie vor in der Verbotszone”, sagt er „wir haben letztmalig am 30. Oktober gespielt, im Apollo vor knapp 100 Leuten.” Natürlich waren die Musiker in der Auftrittsphase nicht untätig, haben CDs eingespielt und für Dirigentenkurse zur Verfügung gestanden. Doch auch das aktuelle Projekt hat es in sich, zumal die Philharmoniker dabei die Hauptpersonen einer Welt-Uraufführung sind.
Das ist neu
Denn mitten unter den Musikern, die in voller Orchestergröße in Gläsersaal sitzen (da sie sich streng an die Abstandsregeln halten, nehmen sie den halben Saal in Anspruch), sitzen drei blinde Mitmenschen, die nichts Anderes wollen, als mitzuhören.
Einer von ihnen ist Jan Meyer-Krügel, der vor 20 Jahren durch einen Unfall sein Augenlicht und seine rechte Hand verloren hat. Und der hat eine Aufnahmetechnik entwickelt, die es auch einem Nichtsehenden ermöglicht zu hören als säße er mitten im Orchester und könnte auch den Ort und die Richtung erkennen, aus der die Musik kommt. Dieser in der Fachsprache als „binaural“ beschriebener Effekt könnte man auch als 3D-Ohrkino und weiterentwickelte „Stereotechnik“ Bezeichnen, die aber nur mit kleinen Hörgeräten den vollen akustischen Genuss ermöglicht.
Dunkelcafé als Lernort
Die Idee zu diesem Projekt hatten die Verantwortlichen des Dunkelcafés in Siegens Oberstadt, in dem auch Jan Meyer-Krügel aktiv ist. Bernhard Nolz, der Vorsitzenden des Vereins, der diese Einrichtung betreibt, sieht die Inklusion blinder Mitmenschen „als Teil unserer Friedensarbeit“. „Das Café ist ein Bildungs- und Lernort, dem auch Schulen und soziale und kirchliche Gruppen gerne besuchen.“ Und sie und die anderen Besucher werden demnächst im ersten 3D-Ohrkino der Welt auch die Aufnahmen der Philharmonie Südwestfalen erleben können und -sehend oder nicht sehend- ein Klang- und Hörerlebnis der phänomenalen Art erleben können.
Das Programm
Die Verantwortlichen des Orchesters haben für diese besondere Aufnahme ein Programm entwickelt, das allen Klassikfreunden gefallen wird: Die Hebriden-Ouvertüre von Mendelssohn-Bartholdy, Schuberts 5. Sinfonie und als besonderes musikalisches Schmankerl das Flötenkonzert von Savario Mercadante, einem Komponisten der sogenannten Neapolitanischen Schule, mit Ji-Ein Lee, der Solo-Flötistin der Philharmonie. Und am Dirigentenpult steht eine junge Frau: Yura Yan, 2. Kapellmeisterin in Karlsruhe. Michael Nassauer: „Ein neues Gesicht, die zu den Maestras von morgen zählt und von der man noch viel hören wird.”
Neustart Kultur
Das aktuelle Projekt wird finanziert aus dem Topf „Neustart Kultur”, vom Kreis Siegen-Wittgenstein und der Stadt Siegen.
Homepage Radio Siegen, 28. April 2021